Eine bulgarische Agrarmitarbeiterin. (Bild: pixabay.com)
Eine bulgarische Agrarmitarbeiterin. (Bild: pixabay.com)

Kommentar – Die Einkommensniveau in der Europäischen Union ist groß und beträgt von Land zu Land bis zu 2000 Prozent. Das ergab beispielsweise eine Studie aus dem Jahr 2014 zu Politikereinkommen in der EU. (1) Auch in der Bevölkerung sind die Unterschiede enorm. So liegt in Osteuropa das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen monatlich lediglich bei 800 bis 1000 Euro, in Deutschland aber bei über 2000 Euro. (1f)

Nach dem Motto: Go West, wollte man schon vor 20 Jahren versuchen, den ärmeren Menschen und Unternehmern in Osteuropa eine Chance in Westeuropa zu geben. Deshalb lancierte man die sogenannte Entsenderichtlinie in der Europäischen Union.

In der Bürokratensprache ist die Rede von der „Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen“. (2)

Die Entsenderichtlinie sah vor, dass es für westeuropäische Arbeitgeber und Auftraggeber einfacher sein sollte, osteuropäische Arbeitskräfte zu engagieren.

Und umgekehrt sollte es für Osteuropäer einfacher sein, der Armut zu entfliegen und im Westen das Glück zu versuchen

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Die Entsendungsrichtlinie hatte vor allem die osteuropäischen Arbeitgeber im Fokus. Denn für sie galt das Entsendungs-Regelwerk, nicht für unabhängige Arbeitskräfte, die auf sich alleine gestellt in Deutschland, Österreich, Frankreich oder Schweden etwas Fortuna suchten. Also einen Job.

Da die Entsendungsrichtlinie sich vor allem an osteuropäische Unternehmen wandte, beklagten zunehmend westeuropäische Unternehmen: Dies führe zu einem erheblichen Wettbewerbsnachteil.

Grund: Immer mehr osteuropäische Arbeitgeber nutzen die Richtlinie, um ihre in Osteuropa angestellten Arbeitnehmer in den Westen zu schicken. So profitierten drei Lager:

Die westeuropäischen Auftraggeber oder Arbeitgeber, die beispielsweise auf dem Bau massenhaft Subunternehmen beschäftigten, welche aus Osteuropa polnische, bulgarische, ukrainische, russische oder tschechische Arbeitnehmer beschäftigten.

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Es profitierten die westdeutschen Privathaushalte, die auf mehr Wettbewerb zurückgreifen konnten und damit der Preistreiberei vieler westdeutscher Handwerksbetriebe etwas entgegensetzen konnten.

Es profitierten aber ebenso viele westeuropäische Unternehmen, die Aufträge vergaben und nun ebenfalls, wie die Verbraucher, bei der Auftragsvergabe an Subunternehmer ein etwas breiteres Spektrum hatten und damit dem Preiskartell, das gerade im Handwerk in vielen Städten herrscht, etwas besser entkommen konnten.

Handwerker treiben Preise im Bauboom nach oben

Denn natürlich sprechen sich Handwerker in vielen Kommunen bewusst oder unbewusst untereinander ab, beziehungsweise orientieren sich gegenseitig bei der Abgabe von Angeboten für den Bau von Häusern, das Fließen von Bädern oder das Parkettlegen in Wohnungen.

Besondres westeuropäische Kleinbetriebe beklagten aber, die Art der Mitarbeiterwerbung in Osteuropa würde über Dumpingangebote von statten gehen und viele westdeutsche Firmen, die höhere Lohnnebenkosten hätten, benachteiligen.

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Die Schieflage beruhte aber nicht primär auf dem ausbezahlten Lohn. Denn der Lohn gilt auch in Westeuropa einheitlich und ist gesetzlich festgezurrt, wenn obendrein der Stempel auf einen gesetzlich für alle vorgeschriebenen Mindestlohn lautet.

Die Verzerrung, die zum Vorwurf des Dumpings führte, liegt in den Sozialabgaben. Hier hatte die Entsenderrichtlinie gesagt:

Wenn ein osteuropäisches Unternehmen seine angestellten Mitarbeiter beispielsweise nach Deutschland oder Österreich schickt, müssen zwar die in diesen Ländern geltenden branchenüblichen Löhne bezahlt werden. Es mussten aber nicht die in diesen Ländern üblichen Sozialstandards bezahlt werden, also die Lohnnebenkosten. Sie machen in Deutschland im Schnitt 25 Prozent aus.

Das bedeutet: Verdient ein Angestellter beispielsweise 4000 Euro, müssen monatlich gut weitere 1000 Euro vom Arbeitgeber bezahlt werden, die auf den Bruttolohn on top kommen: Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, der Solidaritätszuschlag zum Beispiel.

Osteuropäische Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer nach Westeuropa sendeten, hatten also diesen 20-Prozent-Kostenvorteil. Denn in Bulgarien sind die Lohnnebenkosten beispielsweise gut 90 Prozent niedriger, als in Österreich.

Schlechte Deutschkenntnisse waren ein Manko das durch niedrigere Lohnnebenkosten ausgeglichen wurde

Dennoch hatten sowohl die Arbeitnehmer etwas von dieser Regelung, als auch Auftraggeber in Westeuropa, die häufig sowieso auf zu wenige Handwerker oder Pflegekräfte zurückgreifen können.
Denn dank des Kostenvorteils wurde so über andere Mankos, wie mangelnde bis gar keine Deutschkenntnisse, hinweggeschaut.

Besonders der Bau hat so auch in Deutschland profitiert. Denn deutsche Handwerker werden angesichts des Baubooms und der Immobilienblasen immer teurer. So ist es keine Seltenheit, dass drei Maler für das zweitägige Malern einer Wohnung, die 80 Quadratmeter misst, 1800 Euro brutto abrechnen, also einen Tageslohn von gut 450 Euro pro Maler.

Zum Vergleich: Das was ein deutscher Handwerker am Tag verdient, dafür muss ein Tscheche, der in Tschechien arbeitet, 10 bis 12 Tage schuften.

Vor allem im Bereich der Pflege von Senioren, die pflegebedürftig sind, konnten sich Dank der Entsendungsrichtlinie viele westeuropäische, vor allem deutsche Familien, es sich leisten, Oma oder Opa im Haus zu lassen und nicht in ein graues Pflegeheim abzuschieben.

Möglich war dies, wenn die Pflegekraft beispielsweise von einem polnischen Unternehmen oder Subunternehmen nach Deutschland entsendet worden ist.

Dann griff auch hier die Entsendungsrichtlinie, wonach also solche Mitarbeiter einen Preisvorteil im Bereich der sowieso eins zu eins an den Staat gehenden Lohnnebenkosten hatte in Höhe von gut 20 Prozent. Denn die Lohnnebenkosten waren dann im Heimatland der Arbeitskraft zu entrichten, also beispielsweise in Polen.

Der Pflegenotstand konnte in Deutschland gerade durch günstigere Arbeitskräfte aus Polen, Bulgarien oder Rumänien wenigstens etwas abgemildert werden. Immerhin wird seit Jahren bemängelt, dass alleine im EU-Land Deutschland rund 300.000 Altenpfleger fehlten. (3)

Pflegenotstand dürfte sich nun verschärfen

Doch das Jammern der deutschen, französischen oder österreichischen Unternehmer und Gewerkschaften, gegen angebliches Lohndumping, hat sich nun gelohnt:

Verkauft wird die Reform der Entsendungsrichtlinie damit, dass man nun angeblich im Sinne der Arbeitnehmer aus Osteuropa agiere, die nun gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhielten.

Was verschwiegen wird: Wenn dem so wäre, gäbe es keinen Grund mehr, einen kaum deutsch sprechenden Tschechen auf den Bau nach Karlsruhe, Oldenburg, Berlin, München oder Leipzig zu holen.

Es gäbe auch keinen Grund mehr, die Polin oder den Polen ins private Haus zu holen, um die Großeltern etwas günstiger zu pflegen, als wenn man eine teure deutsche Pflegekraft engagieren hätte müssen, die man sich nicht hätte leisten können.

Fakt ist: Das große Sprachmanko ist gerade für einfache Menschen in der EU immer noch das größte Problem, sich auf dem Arbeitsmarkt in Europa grenzübergreifend behaupten zu können.

Die Entsendungsrichtlinie ermöglichte eine unbürokratische Regelung, um auch einfacheren nicht hoch gebildeten Menschen aus Osteuropa, welche nicht deutsch, französisch, spanisch oder englisch sprechen, eine Chance im Westen zu geben. Und damit eine Chance, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, den man braucht, um beispielsweise einer Familie eine Zukunft bieten zu können.

Westeuropäische Gewerkschaften dürften jubeln

Das ist nun Vergangenheit. Westeuropäische Gewerkschaften oder einige Politiker, die eh keine Arbeitskräfte aus Osteuropa haben möchten, haben sich mal wieder durchgesetzt. Die Entsendungsrichtlinie wird in der bisherigen Form voraussichtlich schon bald gekippt, sollte das Europaparlament dem zustimmen.

Künftig müssen auch Auftraggeber im Westen, also Arbeitgeber, an beauftragte Arbeitgeber aus Bulgarien oder Rumänien Lohnnebenkosten in Höhe des im Westen üblichen Niveaus bezahlen. Das verteuert die Ware Arbeitskraft aus Osteuropa um mindestens 20 Prozent und bestiehlt damit den Osteuropäern ihren bescheidenen Wettbewerbsvorteil.

Die reichen westeuropäischen Gewerkschaften, denen osteuropäische Arbeitskräfte im Bau oder in der Pflege sowieso ein Dorn im Auge waren, feiern denn auch das Ende der Entsendungsrichtlinie nach bisherigem Verschnitt. Denn weniger Wettbewerb aus Osteuropa bedeutet, dass der Preistreiberei wieder Tür und Tor geöffnet ist.

Hinzu kommt: Westeuropäische Unternehmen, welche in Westeuropa Aufträge möchten, haben in aller Regel sowieso einen Preisvorteil vor Ort, da sie sich nicht extra um teure Unterkünfte für ihre Arbeitnehmer kümmern müssen.

Eine Frontfrau im Jammern ist beispielsweise Maria Smodics-Neumann, die Obfrau der Sparte Gewerbe und Handwerk der Wirtschaftskammer Wien.

Sie wird mit den Worten zitieren, wonach „ganze“ österreichischen Branchen „durch diesen schiefen Wettbewerb gefährdet“ gewesen seien. (4) Also den Wettbewerbsnachteil durch niedrigere Lohnnebenkosten bei Arbeitskräften aus Osteuropa.

Bislang seien, heißt es, alleine in Österreichs Bau- und Baunebengewerbe, 170.000 ausländische Arbeitnehmer von Unternehmen nach Österreich geschickt worden. Viele von ihnen eben Dank der Möglichkeit, bei der Auftragsvergabe den kleinen Wettbewerbsvorteil niedrigerer Lohnnebenkosten zu nutzen.

Ausländische Unternehmen senden rund 500.000 Arbeitskräfte nach Deutschland

Für Deutschland wird die Zahl von rund 500.000 Arbeitnehmern genannt, welche von Unternehmen aus anderen EU-Ländern, vor allem aus Osteuropa, jährlich nach Deutschland entsendet werden.

Die EU-Sozialminister aus dem reicheren Westen der EU sehen das Ende des Lohnnebenkosten-Vorteils vor allem für westeuropäische Länder als Durchbruch, da sie eben sagen: Die Arbeitnehmer im Westen sind ihnen wichtiger, als jene im Armenhaus Europas.

Künftig gilt: Mit dem Wegfall der Kostenersparnis gibt es schlicht keinen Grund mehr, osteuropäische Arbeiter und Handwerker im Westen zu beschäftigen.

Die Kluft zwischen Arm und Reich in der EU wird also nicht abgebaut, sondern weiter vergrößert. Zudem werden die irrwitzig hohen Kosten im Bau, angetrieben durch ein Kartell von örtlichen Handwerkerbetrieben, weiter in die Hohe schnellen. Vor allem Frankreich hatte sich für diese EU-Arbeitsmarktreform stark gemacht.

In Berlin verlangt beispielsweise ein deutscher Parkettleger für Material und Arbeit pro Quadratmeter asiatische Eiche (3-Schichten-Parkett) 200 Euro. Trittschallmatten unter dem Parket sind da eingerechnet.

Diese Preistreiberei im Handwerk und in der Pflege wird also weiter angeheizt und dem so dringend benötigen Wohnungsbau und der Altenpflege alles andere als gut tun.

Steuerratschlag.eu. wollte von der Industrie- und Handelskammer aus Karlsruhe wissen, wie steht eigentlich eine lokale IHK zu den Plänen, die Arbeitsbasis für in Deutschland Beschäftigte, aber in Osteuropa angestellte EU-Gastarbeiter, zu ändern?

Folgende Antwort erhielten wir von Simone Heinrich, Pressereferentin der IHK Karlsruhe:

„Da es sich um ein bundesweites bzw. EU-Thema handelt, haben wir eine mögliche Antwort zunächst mit dem DIHK abgeklärt. Der DIHK hat sich zu den Entsenderegeln bisher nicht geäußert, weil es aus seiner Sicht arbeitsrechtliche Interessenvertretung ist und wegen des BVerwG-Urteils von März 2016 u.a. zu § 1 Abs. 5 zu riskant erscheint. Daher können wir uns auch jetzt weder auf DIHK-Ebene noch auf Ebene einer regionalen IHK dazu äußern. Es tut mir leid, dass ich Ihnen keine positivere Rückmeldung geben kann.“

Einzelnachweise

(1) Gehaltsatlas in den 27 EU-Staaten Riesiges Gefälle EU-Parlamentarier verdienen im Schnitt 878 Prozent mehr als EU-Bürger, Studie von preisvergleich.de vom 11.02.2014.
(2) Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (kurz Entsenderichtlinie) vom 16.12.1996 in: Wikipedia.
(3) Bis 2020 fehlen 300.000 Fachkräfte, von Michael Trauthig, in: Stuttgarter Zeitung vom 23. August 2010. Abgerufen am 24.10.2017.
(4) EU-Staaten einigen sich über Reform der Entsendungen, von Ingrid Steiner-Gashi, in: Der KURIER Online, Österreich vom 23.10.2017. Abgerufen am 24.10.2017.

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Von Herbert

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