War über Jahrzehnte Standard in Tageszeitungen und Anzeigenzeitungen: Die ganzseitige Schlecker-Anzeige.
War über Jahrzehnte Standard in Tageszeitungen und Anzeigenzeitungen: Die ganzseitige Schlecker-Anzeige.

Kommentar – Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Hatz einige Tageszeitungen über Anton Schlecker, den einstigen deutschen Drogerie-König, angesichts des Stuttgarter Gerichtsverfahrens zu seiner Insolvenz berichten. Schlagzeilen wie „Die Kleine Welt des Anton Schlecker“ (Die Welt) sind dabei noch die harmloseren Varianten.

Ausgerechnet die Tageszeitungen, möchte man sagen, hauen seit Jahren so auf Schlecker ein. Dabei waren doch es vor allem sie, welchen Filialisten wie Schlecker oder Aldi geholfen haben, reich zu werden und üppige Tarife mit Journalisten auszuhandeln.

Wie viel Marketing-Milliarden die Schlecker-Drogerien den circa 130 Tageszeitungen und rund 700 uniquen Anzeigenzeitungen in Deutschland (unter Berücksichtigung der Tatsache, dass einige der Titel zwei Mal die Woche teils mit leicht abgewandelten Namen erscheinen) jährlich überwiesen haben, ist nicht ganz klar.

Doch es gab Zeiten, da waren zwei bis vier ganze Zeitungsseiten pro lokaler Zeitung mit Schlecker-Anzeigen üblich – oft in der Tageszeitung und ergänzend in den Wochenblättern. Nicht selten erschienen diese sogar zwei Mal die Woche: Dienstags, Mittwochs oder Donnerstags und Samstags. Hinzu kamen die für Tageszeitungen und Anzeigenblätter so lukrativen Beilagen.

Wer sich etwas im Markt auskennt, weiß: Da sind schnell 200 bis 450 Millionen Euro alleine für Print-Marketing im Jahr zusammen. Nun gibt es Schlecker nicht erst seit gestern.

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Vielmehr ist die Anton Schlecker e.K. i.I. 1975 von Anton Schlecker im schwäbischen Ehingen gegründet worden.

Ähnlich wie die Zeitungs-Vermarkter oder Anzeigenblatt-Vermarkter jährlich beispielsweise vor dem Gang nach Essen, der Aldi-Zentrale für Aldi Nord zittern, zitterten sie vor dem Gang nach Ehingen: Wie hoch wird dieses Mal das Auftragsvolumen, war die Standardfrage über Jahrzehnte. Wie viel Rabatt musste man einräumen?

Summiert man die Werbeausgaben von Schlecker in den Tageszeitungen und Wochenblättern (die zu rund 80 Prozent zu den Tageszeitungen gehören), kommt man sicherlich recht schnell auf Beträge von weit über drei Milliarden Euro welche direkt den Tageszeitungen zugute kamen.

Natürlich war es ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Die Tageszeitungen konnten sich Dank so guter Werbekunden wie Schlecker üppige Redaktionen und gute Gehälter für die schreibende Zunft und die Verlags-Mitarbeiter leisten. Sie leisteten sich schicke Redaktionsgebäude und teure Druckereien.

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Über Jahrzehnte waren immerhin 50 Prozent der Einnahmen einer Tageszeitungen der Werbung zu verdanken. Eben Kunden wie Schlecker, welche wiederum ihre Produkte in den Filialen mit Hilfe der druckenden Medien lokal und bürgernah bewarben und daraus im Idealfall Umsatz generierten und Wachstum.

Das gute Verhältnis kippte, als das Internet aufkam und die Konkurrenz, wie Lidl, plötzlich Werbe-Versuche mit dem Medium Fernsehen erfolgreich unternahm.

Doch damit nicht genug: Hinzu kamen regelmäßige Kampagnen der Gewerkschaften gegen Schlecker, vor allem von Verdi. Sie nahmen gefühlt seit dem Jahr 2000 dramatisch zu – unter lustvoller Anteilnahe vor allem der Tageszeitungen.

Jahrzehnte zuvor hatten gerade sie sich mit kritischer Berichterstattung rund um die eigenen Werbekunden zurückgehalten. Gemäß dem heute bei vielen als altmodisch geltenden Motto: Man beißt nicht die Hand, welche einen füttert.

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Zu den Verdi-Kampagnen gegen Schlecker schrieb beispielsweise am 8. August 2009, also vor bald acht Jahren, die Wirtschaftswoche:

„Weiterer Ärger droht Schlecker zudem seitens der Gewerkschaft Verdi, die mit Streiks droht. Wegen zahlreicher Überfälle – laut Verdi rund 500 im vergangenen Jahr – fordert die Gewerkschaft einen Sicherheitstarifvertrag, der die Ausstattung mit speziellen Tresoren, Zweierbesetzung in den Schlecker-Filialen und die Geldabholung durch externe Unternehmen vorschreibt. ‚Andernfalls gibt’s Ärger, notfalls auch Streik‘, sagt der für Schlecker zuständige Verdi-Vertreter Achim Neumann. Im Herbst könnte es losgehen.“

Streik. Ein Wort, das man bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit Schlecker häufig zusammenbrachte.

Mal ging es um eine angeblich zu schlechte Bezahlung. Dann wiederum um angeblich zu lange Arbeitszeiten. Oder um das fehlende Telefon in den Schlecker-Filialen. Die Forderung, in jeder Filiale ein Telefon zu installieren, gab es selbst in Zeiten, als die Handys längst in jeder Tasche steckten.

Gründe für Streik oder Streikdrohungen gab es unter den rund 25.000 heute als Schlecker-Frauen bezeichneten Schlecker-Mitarbeitern scheinbar immer wieder.

Dass es bei Schlecker auch Männer gab, welche nach der Insolvenz ebenfalls arbeitslos wurden, scheint man in vielen Massenmedien nicht wahrhaben zu wolle.

Oder man ignoriert es vorsätzlich, da es die mediale Geschichte vom Opfer schmälern könnte. Wobei ein weibliches Opfer scheinbar immer noch höher gewertet wird, als ein männliches.

Fakt ist: Die Krise bei Schlecker spitzte sich seit 2000 zu. Jahr um Jahr. Das Unternehmen hatte sich selbst zu immer höheren Filial-Zahlen getrieben und dabei die Rentabilität offensichtlich aus den Augen verloren.

So hatte der Marktforscher Nielsen Trade Dimensions berechnet, wonach bereits 2005 der Umsatz bei Schlecker um jährlich rund eine Milliarde Euro zurückgegangen sei.

So habe Schlecker 2005 noch gut 5,5 Milliarden Euro umgesetzt. Doch 2008 seien es nur noch 4,2 Milliarden Euro gewesen.

Mit dem Umsatzrückgang glitt das Unternehmen ins bilanzielle Minus. Lag der Gewinn 2008 noch bei geschätzten 118 Millionen Euro, wurde 2007 ein Verlust von geschätzten 30 Millionen bekannt.

Der Kandidat war substanziell scheinbar nicht mehr zu retten. Am Ende stand die Insolvenz und seither die so manches Mal fast schon in Hetze gehende Berichterstattung zum Unternehmer Anton Schlecker und seiner Familie. Dabei werden gerne Halbwahrheiten verbreitet.

Beispielsweise hatte die Tochter von Anton Schlecker, Meike Schlecker, am Tag der Insolvenz-Bekanntgabe durchaus richtig gesagt:

Es sei nichts mehr da, was dem Unternehmen helfen könne. Doch viele Journalisten lassen den Zusatz weg, welchen sie im zweiten Satz aber gesagt hatte: Dass eben nichts mehr da sei, was dem Unternehmen helfen könne.

Damit meinte sie und das weiß auch jeder Journalist, der sich mit der Materie beschäftigt: Auch mit 20 oder 50 Millionen Euro wäre Schlecker nicht mehr zu retten gewesen, da wichtige Geldgeber bei Schlecker den Stecker gezogen hatten und dem Unternehmen eben nicht geholfen hatten, den Weg der Restrukturierung weiter zu gehen.

Schuld hatte an der Schlecker-Insolvenz eben nicht nur Anton Schlecker als Unternehmer, sondern ganz vorne die Geldgeber, darunter Lieferanten, Versicherungen und Banken. Sie hatten sich wohl dem nicht mehr aufhörenden medialen Shitstorm gegen Schlecker nicht mehr aussetzen wollen.

Dass man an Schlecker so gar nicht mehr glauben habe wollen, scheint eher eine Ausrede zu sein. Denn es hätte durchaus noch Platz gegeben neben dm, Rossmann oder Müller für eine weitere Drogeriekette in Deutschland.

Insofern sind die Tageszeitungen durchaus mit Schuld am Schlecker-Untergang. Etwas wohlwollendere Begleitung in den Medien hätte Schlecker vielleicht retten können und damit die Arbeitsplätze.

In Spitzenzeiten soll Schlecker bis zu 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt haben. Zum Zeitpunkt der Insolvenz 2012 sollen es weltweit im Konzern noch 41.150 gewesen sein. Bei Schlecker und Schlecker XL standen zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch rund 25.250 Menschen unter Vertrag.

Doch egal, was nun Anton Schlecker falsch gemacht hat oder wer alles Schuld an der Schlecker-Insolvenz hat, wobei es eben nicht nur Anton Schlecker ist:

Er gehört trotz allem zu den  erfolgreichsten deutschen Unternehmern. Er hat über Jahrzehnte Hunderttausenden Menschen Arbeit und Lohn geboten direkt in seinem Unternehmen, aber auch in den Zulieferbetrieben.

Anton Schlecker ist ein Stück weit deutsche Nachkriegsgeschichte und Teil des wunderbaren Wiederaufbaus von Deutschland aus den Trümmern des so schrecklichen Zweiten Weltkriegs. Es sind Menschen wie er, die Deutschland wieder groß gemacht haben.

Zudem hat er auch die Medien, zuvorderst die Tageszeitungen, mit finanziert. Er hat damit geholfen, dass diese ihrem demokratischen Auftrag zu kritischer Berichterstattung rund um die Mächtigen vor allem in der Politik gerecht werden konnten.

Auch deshalb verdient er in der Berichterstattung über seine Insolvenz mehr Respekt, als es einige Journalisten derzeit ihm entgegenbringen.

Respekt vor der Leistung eines Menschen und journalistische Objektivität im Journalismus schließen sich nicht aus. Es steht nicht im Pressekodex, dass Journalisten keinen Respekt vor anderen haben sollen.

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Von Elke

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